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Wieder im Slum: Eine Reise nach Korogocho

Kinder am Straßenrand des Slums Korogocho in Nairobi, mitten im lodernden Müll. | Foto © Tom Rübenach

Reiseeindrücke aus einer anderen Welt – die doch dieselbe wie die unsere ist | Von Thomas Schwarz

In Korogocho, dem drittgrößten Slum Nairobis, der Hauptstadt Kenias, wird an jedem Sonntag Fußball gespielt. In Korogocho hat dieser Sport natürlich nichts mit Geld zu tun. Ebenso wenig mit Top-Gehältern oder Werbeverträgen. Er ist Fun, Flucht aus dem tristen Alltag und eine Angelegenheit des Friedens. Dahinter steckt jemand, der selbst einmal brillant Fußball gespielt haben soll …


So spielen sie Fußball in Korogocho. | Foto © Tom Rübenach

So spielen sie Fußball in Korogocho. Mit oder ohne Schuhe. Bei Überschwemmung oder Dürre. Hauptsache Spielen, Hauptsache Frieden.

| Foto © Tom Rübenach


Ich habe seine Geschichte wieder und wieder gehört und könnte sie doch immer wieder erzählen. Zuletzt habe ich mich im vergangenen November davon überzeugen können, was der Mann in diesem Slum regelrecht geschaffen hat.

Vor 15 Jahren hatte Hamilton Ayiera Nyanga eine Idee. Er war damals rank und schlank und ein richtig guter Fußballspieler. Er wurde eingeladen, für Kenias Nationalmannschaft in Südafrika mitzuspielen – beim Homeless World Cup, der WM der Obdachlosen. Damals waren kenianische  Mannschaften noch nicht international verachtet und ausgeschlossen wie heute.

Nicht mal eine kenianische „Bundesliga“ gibt es heute.

Als der junge Mann wieder nachhause kam, zurück in seinen Slum, hatte er sagenhafte 1500 Euro in der Tasche. Bei einem Durchschnittsverdienst von maximal zwei Euro am Tag war das ein Vermögen – und ist es heute immer noch. Es wird erzählt, dass er seine damalige Freundin und heutige Frau fragte: „Was machen wir mit dem ganzen Geld jetzt? Gehen wir auf Weltreise oder fahren wir nach Mombasa an den Strand? Oder machen wir was Gutes damit?“

Mit dem Fußball echten Frieden stiften

Die eher rhetorisch gestellte Fragen beantworteten beide wortlos und lächelten sich an. In diesem Moment begann die Ayiera-Initiative, den Slum zu verändern. Mit dem Fußball. Das war von Anfang an das Credo dieses Fußball-Verrückten. Es war auf einfachen Zetteln an Holzzäunen und Bretterverschlägen zu lesen: „A ball can change slum“ hieß es da. Ein Fußball kann den Slum verändern.

Wer sich das Logo der Ayiera-Initiative ansieht, kann es mittlerweile dort lesen: „Slum Changers“. Hamilton Ayiera Nyanga und sein Team sind davon überzeugt, dass sie den Slum verändern können. Zuerst ihr „Dorf“ Ngomongo, diesem Giganten voller Dreck und Armut, und danach ganz Korogocho. Das Dorf hat um die 60.000 Einwohner, Korogocho etwa 300.000 – etwa so groß wie Bonn.

“Slum Footie League” in Korogocho

Von Anfang an hat Hamilton mit dem Spiel der Götter gearbeitet. Fußball, so wusste er, wird die Kids anziehen. Sie würden angerannt kommen, wenn es bloß eine Mannschaft gäbe oder zwei oder drei. Endlich hätten sie dann so etwas wie einen Fußball-Verein. Sie würden andere Kinder kennenlernen. Sie könnten aus ihren engen Hütten heraus und sich treffen. In einem Satz: Sie könnten richtig Fußball spielen, wie die Großen.

Notfalls spielen die Kids in Korogoch auch ohne Schuhe – Hauptsache spielen! | Foto © Tom Rübenach
Notfalls spielen die Kids in Korogocho auch ohne Schuhe – Hauptsache spielen! | Foto © Tom Rübenach

Hamilton startete etwas, das es nie vorher im Slum gegeben hatte: Eine eigene Fußball-Liga. Er nannte sie „Slum Footie League“; sie existiert bis heute. Jeden verdammten Sonntag spielen sie diese Liga. Auch jetzt, in der Regenzeit. Dann ist der Platz neben dem Ayiera-Jugendzentrum – finanziell ermöglicht durch das deutsche Entwicklungsministerium – mit Wasserlachen und Pfützen übersät. Und trotzdem spielen sie.

Manche von ihnen haben richtige Fußballschuhe, andere Sneakers, wieder andere spielen mit ihren Schlappen. Wer nichts hat, spielt barfuß und schießt eben so seine Tore.

Korogocho, das heißt: Mädchen, Jungs, Luo, Kikuyo, Massai

Hamilton Ayiera Nyanga war eines immer besonders wichtig, etwas, das die Europäer erst wieder seit dem Februar dieses Jahres neu lernen mussten. Es war der Friede im seinem Slum, in Kenia, in seinem Land. Allzu oft hatten gierige und korrupte Politiker die oft wenig gebildete Bevölkerung mit Hass und Hetzte gegeneinander aufgewiegelt. Das war etwa 2008 so, als es nach den Wahlen zu schweren Ausschreitungen mit vielen Verletzten und auch Toten gekommen war. Weil sich die Mitglieder der einzelnen Ethnien verführen ließen, gegeneinander zu kämpfen anstatt in Frieden miteinander zu leben.

In den Mannschaften der Slum Footie League spielen nicht nur Jungs gegen Mädels, Jungen und Mädchen in einer Mannschaft. Auch Jugendliche mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund treten mit- statt gegeneinander an. Das hat Hamilton erreicht, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie schon lange keine Rolle mehr spielt. In der künstlichen Sprache der Politik nennt man so etwas „Conflict Prevention“.

Zwischen Schule und Müll: Die Ayiera-Initiative hat schon Tausende gerettet | Foto © Tom Rübenach
Zwischen Schule und Müll: Die Ayiera-Initiative hat schon Tausende gerettet. | Foto © Tom Rübenach

Fußball als Köder für Bildung auch in Korogocho

Es wäre mehrere Blogbeiträge wert, zu beschreiben, was diese Graswurzel-Bewegung namens Ayiera-Initiative alles erreicht hat. Eines sei hier besonders hervorgehoben: Durch die Begeisterung der Kinder und Jugendlichen für den Fußball erreicht die Initiative zahllose junge Menschen im Slum Korogocho. Mit ihnen spielen Ayieras Team-Mitglieder nicht nur. Sie vermitteln ihnen die Bedeutung von Bildung.


Eine Schule in Siegburg – das Gymnasium Alleestraße
unterstützt die Initiative von Hamilton Ayiera seit Jahren mit einem „Tag für Afrika“.

Der Schulbesuch von tausenden Kindern ist nicht hoch genug einzuschätzen. Er und das Freizeitangebot für die Kinder in diesem großen Slum hält sie von kriminellen Banden im Slum fern. Drogendealer haben es schwer, wenn sie es selbstbewussten und gesunden Kindern zu tun haben. Es ist großartig zu sehen, wie Kinder und Jugendliche hierzulande verstehen, wie wichtig ihre Solidarität ist – für “die in Afrika”, in Kenia, Nairobi, Korogocho.


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