In Korogocho, dem drittgrößten Slum der kenischen Hauptstadt, wird an jedem Sonntag Fußball gespielt. An diesem Platz in Nairobi hat dieser Sport natürlich nichts mit Geld zu tun. Ebenso wenig mit Top-Gehältern oder Werbeverträgen. Er ist Fun, Flucht aus dem tristen Alltag und eine Angelegenheit des Friedens. Dahinter steckt jemand, der selbst einmal brillant Fußball gespielt haben soll …
Vor 15 Jahren hatte Hamilton Ayiera Nyanga eine Idee. Er war damals rank und schlank und ein richtig guter Fußballspieler. Er wurde eingeladen, für Kenias Nationalmannschaft in Südafrika mitzuspielen – beim Homeless World Cup, der WM der Obdachlosen. Damals waren kenianische Mannschaften noch nicht international verachtet und ausgeschlossen wie heute.
Eine kenianische „Bundesliga“ gibt es nicht
Als der junge Mann wieder nachhause kam, zurück in seinen Slum, hatte er sagenhafte 1500 Euro in der Tasche. Bei einem Durchschnittsverdienst von maximal zwei Euro am Tag war das ein Vermögen – und ist es heute immer noch. Es wird erzählt, dass er seine damalige Freundin und heutige Frau fragte: „Was machen wir mit dem ganzen Geld jetzt? Gehen wir auf Weltreise oder fahren wir nach Mombasa an den Strand? Oder machen wir was Gutes damit?“
Mit dem Fußball echten Frieden stiften
Die eher rhetorisch gestellte Fragen beantworteten beide wortlos und lächelten sich an. In diesem Moment begann die Ayiera-Initiative, den Slum zu verändern. Mit dem Fußball. Das war von Anfang an das Credo dieses Fußball-Verrückten. Es war auf einfachen Zetteln an Holzzäunen und Bretterverschlägen zu lesen: „A ball can change slum“ hieß es da. Ein Fußball kann den Slum verändern.
Wer sich das Logo der Ayiera-Initiative ansieht, kann es mittlerweile dort lesen: „Slum Changers“. Hamilton Ayiera Nyanga und sein Team sind davon überzeugt, dass sie den Slum verändern können. Zuerst ihr „Dorf“ Ngomongo, diesem Giganten voller Dreck und Armut, und danach ganz Korogocho. Das Dorf hat um die 60.000 Einwohner, Korogocho etwa 300.000 – etwa so groß wie Bonn. Genaue Zahlen über die Anzahl der Bewohner gibt es nicht. Ein Zensus wie bei uns: So etwas gibt es nicht.
“Slum Footie League”
Von Anfang an hat Hamilton mit dem Spiel der Götter gearbeitet. Fußball, so wusste er, wird die Kids anziehen. Sie würden angerannt kommen, wenn es bloß eine Mannschaft gäbe oder zwei oder drei. Endlich hätten sie dann so etwas wie einen Fußball-Verein. Sie würden andere Kinder kennenlernen. Sie könnten aus ihren engen Hütten heraus und sich treffen. In einem Satz: Sie könnten richtig Fußball spielen, wie die Großen.
Hauptsache Fußball: Notfalls spielen die Slum-Kids auch ohne Schuhe | Foto © Tom Rübenach
Hamilton startete etwas, das es nie vorher im Slum gegeben hatte: Eine eigene Fußball-Liga. Er nannte sie „Slum Footie League“; sie existiert bis heute. Jeden verdammten Sonntag spielen sie diese Liga. Auch jetzt, in der Regenzeit. Dann ist der Platz neben dem Ayiera-Jugendzentrum – finanziell ermöglicht durch das deutsche Entwicklungsministerium – mit Wasserlachen und Pfützen übersät. Und trotzdem spielen sie.
Manche von ihnen haben richtige Fußballschuhe, andere Sneakers, wieder andere spielen mit ihren Schlappen. Wer nichts hat, spielt barfuß und schießt eben so seine Tore.
Mädchen, Jungs, Luo, Kikuyo, Massai
Hamilton Ayiera Nyanga war eines immer besonders wichtig, etwas, das die Europäer erst wieder seit dem Februar dieses Jahres neu lernen mussten. Es war der Friede im seinem Slum, in Kenia, in seinem Land. Allzu oft hatten gierige und korrupte Politiker die oft wenig gebildete Bevölkerung mit Hass und Hetzte gegeneinander aufgewiegelt. Das war etwa 2008 so, als es nach den Wahlen zu schweren Ausschreitungen mit vielen Verletzten und auch Toten gekommen war. Weil sich die Mitglieder der einzelnen Ethnien verführen ließen, gegeneinander zu kämpfen anstatt in Frieden miteinander zu leben.
In den Mannschaften der Slum Footie League spielen nicht nur Jungs gegen Mädels, Jungen und Mädchen in einer Mannschaft. Auch Jugendliche mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund treten mit- statt gegeneinander an. Das hat Hamilton erreicht, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie schon lange keine Rolle mehr spielt. In der Sprache der Politik nennt man so etwas „Conflict Prevention“.
Zwischen Schule und Müll: Die Ayiera-Initiative hat schon Tausende gerettet | Foto © Tom Rübenach
Fußball als Köder für Bildung
Es wäre mehrere Blogbeiträge wert, zu beschreiben, was diese Graswurzel-Bewegung namens Ayiera-Initiative alles erreicht hat. Eines sei hier besonders hervorgehoben: Durch die Begeisterung der Kinder und Jugendlichen für den Fußball erreicht die Initiative zahllose junge Menschen im Slum Korogocho. Mit ihnen spielen Ayieras Team-Mitglieder nicht nur. Sie vermitteln ihnen die Bedeutung von Bildung.
Das Gymnasium Alleestraße unterstützt die Ayiera Initiative seit Jahren
Der Schulbesuch von tausenden Kindern ist nicht hoch genug einzuschätzen. Er und das Freizeitangebot für die Kinder in diesem großen Slum hält sie von kriminellen Banden im Slum fern. Drogendealer haben es schwer, wenn sie es selbstbewussten und gesunden Kindern zu tun haben. Es ist großartig zu sehen, wie Kinder und Jugendliche hierzulande verstehen, wie wichtig ihre Solidarität ist – für “die in Afrika”, in Kenia, Nairobi, Korogocho.